Angenehme Berührungen lösen Wohlbefinden aus. Wir alle kennen das aus eigener Erfahrung. Wenn ein geliebter Mensch uns berührt, erreicht uns das Gefühl der Sicherheit, des Entspannens und des Wohlbefindens. Das Wohlfühl-Hormon Oxytozin wird ausgeschüttet. Ganz anders verhält es sich, wenn wir einem Menschen begegnen, die uns unsympathisch oder fremd sind. Automatisch vergrößert sich der Individualabstand, und Berührungen weichen wir aus. Besonders in persönlichen Zonen wie z. B. dem Gesicht möchten wir uns nicht gerne anfassen lassen.
Dieses Phänomen lässt sich auch auf das Pferd übertragen. Was wir Pferdemenschen schon immer wissen, ist mittlerweile auch wissenschaftlich anerkannt. Pferde (und Tiere im Allgemeinen) sind sehr soziale Wesen, mit einer hohen Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit und fantastischen sozialen Fähigkeiten. Im Zusammenleben mit unserem Vierbeiner ist für die meisten Reiter die soziale Komponente von riesigem Stellenwert. Mit Hilfe von Berührungen möchten wir nur zu gerne unserem Pferd unsere Zuneigung und Liebe mitteilen. Oft bleibt das Bemühen jedoch einseitig. Anstatt die Berührung zu genießen, zieht das Pferd sich zurück, wird ärgerlich, friert ein oder toleriert es bestenfalls. Ganz selten werden wir damit belohnt, dass unser Pferd sich gänzlich der Berührung hingibt, die Augen schließt, brummelt oder uns vielleicht sogar zurück krault.


Genauso oft, wie wir Menschen es eigentlich gut meinen, empfängt das Tier es ganz anders an. Mit unserem wenige Wochen alten Hundewelpen erlebe ich das gerade wieder täglich. Es ist wirklich schwierig, bei Nemos Anblick nicht direkt einen Zuckerschock zu erleiden. Die normale Reaktion auf ihn scheint zu sein, sich gut gemeint zu ihm Herunterbeugen und ihn zu liebkosen. Lieb findet er das jedoch gar nicht – er antwortet mit ausweichen nach hinten, und vermeidet den Kontakt. Gerne versteckt er sich anschließend zwischen oder hinter meinen Beinen. Natürlich biete ich ihm gerne Schutz an. Ebenso, wie ich selber nicht von jedem Fremden, den ich auf der Straße treffe, angefasst werden möchte, spreche ich dieses Recht auch meinem Hund und meinen Pferden zu. Ich wünsche mir, dass Menschen öfter um Erlaubnis fragen, bevor sie Tiere anfassen. Das würde oft auch helfen, um weniger oft gebissen zu werden.

Pferde sind sehr höfliche Tiere. In der Kommunikation unter Artgenossen werden sie die meiste Zeit einen mehr oder weniger großen Abstand zueinander einhalten. Wie groß genau, hängt vom Individualabstand des einzelnen Tieres ab. Aber eines ist klar: Niemals dringt ein Pferd in den Raum eines anderen Pferdes ein (solange es die Wahl hat und nicht etwa durch Mini-Paddocks oder andere räumliche Engen beschränkt). Erst sehr enge Kontakte werden in diesen persönlichen Raum eingeladen.

Im Umgang mit Tieren bemühe ich mich um gute Gewohnheiten. Bevor ich mich nähere oder gar auf Tuchfühlung gehe, begrüße ich meine vierbeinigen Schüler höflich aus der Distanz und lade zum Kontakt ein. Routinemäßig habe ich ein Ritual entwickelt, dass damit beginnt, das fremde Tier nicht direkt anzustarren. Niemals nähere ich mich nie frontal von vorne, sondern meist mit einem Halbkreis auf Hals oder Schulterhöhe, und lass das Pferd den ersten Kontakt aufnehmen. Sollte der Vierbeiner mir seitlich ausweichen, spiegele ich die Bewegung, schaue aktiv weg und lade dazu ein, mir zu folgen. Bisher hat noch kein Pferd mit Desinteresse auf dieses Ritual geantwortet. Erst jetzt strecke ich die Hand aus und lade dazu ein, mal an mir zu riechen. Ist mein Gegenüber immer noch entspannt, neugierig und offen, biete ich leichte Berührung in der Halsregion an. Ist dem nicht so, respektiere ich das und wiederhole ich meine Einladung einfach so lange, bis ich eine Zusage bekomme. Die Zone „Hals“ ist für das Fluchttier Pferd „ungefährlich“ und nicht so privat wie Kopf, Nüstern oder der hintere Bauch. Nur, wenn das Pferd mir positiv gegenübersteht, wird es auch mit mir arbeiten wollen und meine Berührungen genießen können. Und da ist es kein Unterschied ob Behandlung oder Training. Übrigens fasse ich auch meine eigenen Pferde niemals an, bevor sie den Kontakt nicht eröffnen. Auch nach Jahren des Zusammenseins ist der gegenseitige Respekt genauso wichtig wie am ersten Tag. Ich mag es ja schließlich auch nicht, wenn mein Pferd mich anrempelt oder schubst und dazu auffordert, endlich mal die Kekse rauszurücken. 

Abstreichen der posterioren Kette

Höflichkeit

Neben den kleinen, respektvollen Höflichkeiten ist es für jede Beziehung zuträglich, zu lernen was das Pferd mag, wo es angefasst werden möchte und was es als angenehm empfindet. Das „Wie“ ist mindestens genauso wichtig wie das „Wo“. Wie viel, wie wenig Druck? Sanft, stark, mehr oder weniger Druck, schneller oder langsamer?
Jedes Pferd ist individuell, genauso wie jeder Mensch. Können wir die subtilen Signale des Wohlbefindens lesen, wissen wir, was es wert ist wiederholt zu werden. Zum Beziehungsaufbau ist es durchaus förderlich, Dinge zu wiederholen, die mein Pferd irgendwo zwischen super und fantastisch einstuft 😉

Wenn wir uns eine Zeit lang darauf fokussieren, ist es erstaunlich, wie schnell sich das Wahrnehmen der kleinen Signale in unseren Alltag integriert und die Beziehung nachhaltig verbessert. 

Weniger ist mehr

Die Praxis zeigt, dass die Druckstärke einen deutlichen Einfluss hat auf die Resonanz im Pferd. Je leichter die Berührung, desto besser wird sie in der Regel vom Vierbeiner empfangen. In den fluiden Techniken sprechen wir über 4 Gramm Druck, die Hände des Therapeuten maximal auf das Gewebe ausüben dürfen, bevor es gegen hält. Je leichter, desto tiefer kommen wir also. Wenn die Fingerspitzen das Pferd berühren, sollen sie also nicht weiß werden. Es braucht ein bisschen Geduld, bis die Fingerspitzen sich so sanft ins Pferd einfühlen können. 

Posteriore Faszienkette

Aus dem Buch: Pferde-Osteopathie, Salomon, Thieme Verlag
Aus dem Buch: Pferde-Osteopathie, Salomon, Thieme Verlag

Besonders in der jetzt kommenden Schlechtwetter Saison ist es toll, wenn es neben Reiten noch andere Beschäftigungen mit dem Pferd gibt. Ich habe im Verlauf des Jahres immer Mal wieder eine Kamera mitlaufen lassen, und einige kleine Wohlfühltechniken für euch mitgefilmt. Eine tolle Technik zum Starten ist das Abstreichen der posterioren Faszien Kette. Das ist die Faszien Kette, die sich ca. 2 Finger unterhalb der Oberlinie vom Genick des Pferdes bis zum Hinterhuf des Pferdes entlang zieht. Oft werden sich die besonders im Genick und den ersten beiden Halswirbeln, am Schulterblatt (sowohl cranial als auch caudal), im Bereich der Lendenwirbelsäule, am Hüftbeinhöcker, auf Höhe von Knie und Sprunggelenk besonders starke Reaktionen des Pferdes finden lassen.

Diese Zeichnung zu den Faszien Ketten findest Du  in dem Buch von Walter & Brigitte Salomon, erschienen beim Thieme Verlag. Dem aufmerksamen Betrachter fällt bei diesem Bild auch auf, dass der Großteil der Faszien Ketten sehr große Ähnlichkeit mit den aus der TCM bekannten Meridianverläufe hat.

Ein weiterer spannender Punkt, besonders bei Pferden, die Last mit dem Lymphsystem haben (so wie meine Prinzessin): viele Lymphgefässe haben Endpunkte oder kleine Knötchen auf dieser Linie. Mit dieser einfachen Technik bekommt auch der Lymphfluss einen Kick. Einige Pferde fangen sogar an, zu urinieren.
Egal aus welcher Perspektive wir es betrachten: Ist es der Blasenmeridian (naja, der Blasenmeridian hat noch ein paar Details mehr wenn wir es ganz genau nehmen 😊 ), der zur Diagnostik in der TCM oder auch von vielen Tierärzten eingesetzt wird, ist es Masterson, der diese Strategie als festen Bestandteil seiner Methode integriert, oder gehört es in die energetische Arbeit? Dem Pferd ist es eigentlich egal, wie Du es nennst oder wer von wem zuerst geklaut hat. So oder so – Es ist eine fantastische Möglichkeit, das eigene Pferd achtsam besser kennen zu lernen und kleine feine Signale erst zu erkennen und dann zu deuten. 


Entspannungssignale

  • Kopf senken
  • Augen schließen / Augenlieder senken
  • Augenzwinkern
  • Vibration in der Unter- oder Oberlippe
  • Veränderung des Atemrhythmus
  • Pulsieren im Gewebe, auf dem die Finger liegen
  • Sanftes Kauen
  • Gähnen
  • Kopfschütteln
  • Kratzen, manchmal auch den Menschen 😉
  • Schütteln des ganzen Körpers
  • Sanftes Schweifschlagen
  • Luft ablassen oder sogar Äppeln
  • „Ausbalancieren“, Gewichtsverlagerung von einem Bein auf das andere, oft mehrere Male in Folge
  •  Ausstrecken der Hintergliedmaßen
  • Aufstampfen
  • Aufwölben des ganzen Pferdes, oder auch Strecken des ganzen Pferdes

Nach all diesen Zeichen darfst Du Ausschau halten. Welche davon dir dein Pferd schenkt, hat nicht nur etwas mit der tiefe der Entspannung zu tun. Je nachdem, wie introvertiert oder extrovertiert dein Pferd ist, wird die Reaktion unterschiedlich sein. Welches Signal des Entspannens dein Pferd dir auch immer schenkt – Atme aus und lass deine Finger an dieser Stelle liegen, bis die Reaktion von selber endet. 

Noch ein paar Tips für die Praxis

  1. Solltest Du beim Abstreichen des Pferdes eine Abwehrreaktion erkennen, sei noch sanfter. Besonders kopfscheue Pferde, die oft sehr viel Spannung im Genick haben, möchten hier nicht angefasst werden. Teste, bis auf wie viele Zentimeter deine Hand sich nähern darf. Sollte dein Pferd an einer Stelle Probleme haben, wiederhole das Abstreichen an dieser Stelle oft und schau, ob es sich entspannt. Klappt das nicht auf Anhieb, ist es eine gute Idee, einen Experten (Tierarzt oder Osteopathen) hinzu zu ziehen. Die hier beschriebene Technik ist bei Laien als Wellness gedacht, und nicht als Heilmethode geeignet!
  2. Hat dein Pferd große Probleme, sich zu entspannen, achte auf dich selber. Hast Du gerade Stress? Wie ist deine Atmung? Bist Du mit Anspannung am Pferd? Steht ihr im Zug? Oder werdet ihr von anderen Herdenmitgliedern gestört?
  3. Nimm dir Zeit. Solltest Du nicht mindestens 15 min pro Seite haben, dann fang lieber erst gar nicht an. Kalkulier außerdem einige Minuten ein, die dein Pferd noch alleine Nachfühlen kann, ohne dass es gestört wird.
  4. Wie Du in dem Video siehst, findet meine Prinzessin diese Technik so fantastisch, dass wir es auf der Weide ohne Halfter machen können. Ich empfinde es als Ehre, dass sie meine Berührung so genießt. Sei nicht traurig, wenn dein Pferd nicht vom ersten Tag an so sehr entspannt. Es hat auch bei uns einige Wiederholungen gedauert, bis das so sicher gut geklappt hat.

Ich wünsche euch viel Freude beim Ausprobieren und dabei, euer Pferd auf eine neue Art kennen zu lernen.


Enjoy the Journey!